Stellungnahme von Friedrich Maus
(Mitglied im Geschäftsführenden
Vorstand des
Deutschen Berufsverbands,
Sprecher des Funktionsbereichs Sozial- und Fachpolitik )
Die Lobeshymnen auf die Agenda 2010 zum 10jährigen Bestehen sind verklungen. Vor allem gilt Hartz IV als eine entscheidende Reform innerhalb der Agenda 2010, die Deutschland wirtschaftlich stabilisiert hat, ja, die Deutschland erfolgreich über die Finanz- und Wirtschaftskrise gebracht hat. Verbunden mit der Lockerung des Kündigungsschutzes, der Einführung der Leiharbeit und der Minijobs zusammen mit der Zusammenlegung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe, dem SGB IV sollte die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Produkte auf dem Weltmarkt gesichert und mehr Menschen Arbeit auf dem ersten Arbeitsmarkte finden.
Die Arbeitslosigkeit ist
gesunken, viele Arbeitslose haben relative schnell wieder einen Arbeitsplatz
gefunden. Die Wirtschaft hat zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen. Hartz IV hat
demnach erheblich dazu beigetragen, Deutschland vor dem wirtschaftlichen
Zusammenbruch zu retten. So loben alle
Parteien und die Wirtschaft die Agenda.
Allenfalls will man an „Stellschrauben“ arbeiten. Das System bleibt
unangefochten.
„Doch die im Schatten sieht man
nicht“ Hartz IV war in der Tat eine Reform, eine Abkehr vom Sozialstaat zum
aktivierenden Sozialstaat. Es war mehr als nur eine fiskalische Reform. Die
Philosophie des Sozialstaates wurde dem neoliberalen Mainstream angepasst. Der
Staat zieht sich aus der Verantwortung für das Soziale zurück. Der freie und
selbstbestimmte Bürger, der seine Lebenskrisen selbstständig meistert und die
Stärkung der Zivilgesellschaft als Ersatz für gesetzliche Leistungen mit
Rechtsanspruch bestimmt die Richtung. Das Erstarken der Tafeln in Deutschland, der
kostenlosen Versorgung mit Lebensmitteln, die nicht mehr im Handel verkäuflich
waren oder das Anwachsen der Suppenküchen für Arme sind Zeichen dafür, dass
diese Reform auch zahlreiche Opfer zu verzeichnen hat.
Mit Hartz IV wurde die radikale
Veränderung der Bundesrepublik vom Wohlfahrtsstaat hin zum aktiven Sozialstaat
gekrönt. „Fordern und Fördern“ wurde nun die Grundlage staatlicher
Sozialpolitik. Die Wohlfahrtspolitik der Nachkriegsjahrzehnte, einst gelobt als
ein wesentlicher Beitrag zum wirtschaftlichen Aufstieg der Bundesrepublik wurde
nun unter der neoliberalen Sichtweise als Gefahr für die Ökonomie der
Bundesrepublik diffamiert.
Unausgesprochen bleibt bei den
offiziellen Lobeshymnen der Regierungskoalition und vieler Kreise der deutschen
Wirtschaft, dass mit der Agenda 2010 Personengruppen in Armut sinken, die
vorher nie an so was gedacht hatten. Es ist richtig, dass mehr Menschen einen
Arbeitsplatz auf dem ersten Arbeitsmarkt vermittelt werden konnten.
Unterschlagen wird aber, dass dies vor allem Leiharbeitsplätze, Minijobs oder auch geringfügig Beschäftigungen
sind. Es sind Arbeitsplätze, mit Löhnen unterhalb der Armutsgrenze. Zahlreiche
Beschäftigte müssen zwei oder gar drei Arbeitsplätze annehmen, oder staatliche
Leistungen beantragen, um ihre Existenz und die ihrer Familie zu sichern . Arbeitslosigkeit
wird zu einem Armutsrisiko, von der auch zunehmend die gesellschaftliche Mitte
bedroht ist. Die Öffnung des Niedriglohnsektors hat die Zahl der Armen
vergrößert und Arbeitslosigkeit nicht verhindert. Insgesamt sind mehr Menschen
von Armut bedroht als dies vorher der Fall war. Armut hat zugenommen. Dies wird
jedoch von der Ökonomie lediglich als Kolateralschaden behandelt. Nach wie vor hoch ist die Zahl der Langzeitarbeitslosen. Und sie wächst. Vor allem sind Menschen betroffen, die nicht über eine qualifizierte Ausbildung verfügen: Hauptschüler ohne Schulabschluss oder Berufsabschluss, ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Alleinerziehende. Betroffen sind vor allem junge Menschen, die keine Perspektiven haben.
Das Teilhabe- und Bildungspaket,
nach langem Zögern von der Bundesregierung eingeführt, ist u. a. wegen seiner
bürokratischen Praxis nicht in der Lage, Bildungsgerechtigkeit herzustellen. Es
wird zwar viel davon gesprochen, dass Armut ein Bildungs- und
Qualifikationsproblem ist. Die Sonntagsreden der Politik über die Wichtigkeit
der Bildungsgerechtigkeit ist das Eine, jedoch die Praxis zeigt, wem das
Interesse der Politik wirklich gilt. Nach wie vor sind Kinder aus prekären
Familienverhältnissen benachteiligt. Ihnen fehlt die notwendige Unterstützung
und Förderung. Die selbsternannten Eliten bleiben weiterhin unter sich.
Die Ökonomie hat die
Definitionsmacht auch für die Sozialpolitik übernommen. Die Aktionen in Sachen
Finanzkrisen zeigen deutlich, dass es mehr um die Rettung der Großvermögen geht
und dies zu Lasten der „kleinen Leute“. Der Armuts- und Reichtumsbericht der
Bundesregierung macht deutlich, wie wenig die Regierung über den vorhandenen
Reichtum in Deutschland weis. Das statistische Bundesamt kann genau sagen,
wieviel Legehennen es in Deutschland gibt aber über Reichtum sind die
statistischen Zahlen dürftig.
Unbestritten ist, dass in den
letzten Jahren Reichtum und Armut gewachsen ist. Die Schere zwischen Arm und
Reich in unserer Gesellschaft geht auseinander. Dass damit langfristig der
soziale Frieden in unserem Land gefährdet ist, sagen nicht nur
„Sozialromantiker“, sondern auch Fachleute aus der Ökonomie.
Die zunehmende Zahl der
Kommunen, die in einer schwierigen ökonomischen Situation sind, haben immer
weniger Möglichkeiten Arme zu fördern und zu unterstützen. Immer mehr
freiwillige soziale Leistungen wie z. B. in der Jugendhilfe oder in der
Unterstützung und Förderung oder Beschäftigung von Menschen mit sozialen
Schwierigkeiten, die nicht in den ersten Arbeitsmarkt einzugliedern sind,
werden gestrichen. Die Beschäftigungs- und Qualifizierungsmaßnahmen für
Menschen mit sozialen Schwierigkeiten sind drastisch zurückgefahren worden. Eine
grundsätzliche finanzielle Besserstellung der Kommunen, immer wieder
diskutiert, ist nicht in Sicht.
Gleichzeitig werden Milliarden
zur Rettung des Bankensektors aufgebracht. Für Banken, die mit windigen
Finanzprodukten die Finanzkrise verursacht haben und sie weiter am Laufen
halten. Der Gier der Geldvermögensbesitzer ist nach wie vor ungebremst. Eine
oft versprochene Regulierung der Finanzmärkte (des Großkapitals) wird ständig
aufgeschoben bzw. verhindert.
Zur Agenda 2010 und deren
Auswirkungen gehört halt auch der Abbau und die zunehmende Bürokratisierung von
Sozialberatung, die schleichende Verschlechterung der Rahmenbedingungen für
Soziale Arbeit. Soziale Arbeit wird entsprechend der Gesetze des Marktes
zunehmend industriealisiert bzw. taylorisiert. Aufgeteilt in einzelne Segmente,
die leichter zu beschreiben und abzurechnen sind, durchlaufen Betroffene
verschiedene eng in ihrer Leistung begrenzte Beratungsstellen, gesteuert von
„Casemanager“. Damit wächst die Kontrolle der Hilfesuchenden und damit auch die
Sanktionen. Die Philosophie der Agenda ist eine Philosophie des Kapitals und
des freien, sich selbst regulierten Marktes. Der Markt bestimmt immer mehr
Lebensbereiche.
Weitere Kennzeichen ist die
Umstellung der pauschalen Förderung Sozialer Arbeit auf Projektförderung und
befristete Leistungsverträge. In diesen Projekten ist meist wenig Spielraum für
die Träger der Maßnahmen, Ziele und häufig auch die Art und Weise der Arbeit
sind vorgegeben, formuliert vorwiegend unter betriebswirtschaftlichen
Gesichtspunkten. Der Hilfesuchende hat sich einzuordnen in die Ziele des
Projekts. Die individuellen Bedarfe und individuelle Möglichkeiten der
Zielerreichung spielen dabei eine untergeordnete Rolle. Der paternalistische
Staat bestimmt zunehmend die Ziele und die Arbeitsweise. Wer nicht spurt wird
als nicht motivierbar oder gar als destruktiv aussortiert und „fallengelassen“.
Für viele werden schon gar keine Hilfen mehr angeboten, weil es dafür keinen
Markt, sprich öffentliche Förderung gibt.
Das ist die andere Seite der
Agenda. Ich meine es sind nicht nur einzelne Stellschrauben an der Agenda zu
verändern. Das System ist falsch. Hier werden die Opfer des zunehmenden
Reichtums bestraft, als seien sie die Schuldigen an den zahlungsunfähigen
Kommunen und leeren öffentlichen Kassen. Die Agenda ist eine Abkehr von
sozialer Gerechtigkeit. Sie verstärkt den Rückzug des Staates aus der
Verantwortung für Menschen, die aufgrund von Fehlverhalten von Unternehmen,
Management und Geldvermögensbesitzern in existenzielle Lebenskrisen geraten.
Sie fördert eine zunehmende Entrechtung der Armen durch Abschaffung von
sozialen Rechtsansprüchen und Stärkung des Almosentums. Das System ist falsch,
weil es gerade die fördert, die nicht genug bekommen können, weil es die Gier
auf mehr und noch mehr Kapital nicht verhindert sondern eher noch
unterstützt. Es ist falsch, weil es die
soziale Hilfe immer stärker bürokratisiert und sie den Technokraten überlässt.
Notwendig ist ein System das den Menschen in den Blick nimmt, sie in ihren
individuellen Notlagen sieht und fördert.
So ist das mit der Agenda. Na,
ja es kommt halt immer darauf an, aus welchem Blickwinkel und mit welchen
Interessen man diese Reform sehen will. Also feiern wir diese Bundesregierung
weiter als „die erfolgreichste Bundesregierung aller Zeiten“ oder....
Danke Friedrich! Ich teile Deine Sichtweise, denn in Österreich geht die Entwicklung in dieselbe Richtung. Wir sind halt in vieler Hinsicht langsamer, in diesem Fall ist aber der Weg bereits vorgezeichnet. Auch die sog. "Mindestsicherung" weist die gleichen "Symptome" auf, dient letztlich auch nur neoliberalen Zwecken, wobei die Kontrolle im Vordergrund steht. Rückzug des Staates aus dem Sozialbereich ist auch bei uns ein grosses Thema und um dies zu erreichen wird schon seit Jahrzehnten (!) medial gegen die Opfer der Kapitalismuskrise polemisiert. Ich frage mich immer öfter, wer ist denn letztlich die Wirtschaft und die Politik - wir, die Menschen. Und für wen ist eigentlich die Wirtschaft und die Politik da - für die Menschen! Altmodisch - aber dafür um vieles menschlicher als Schröderismo oder Merklerismo.
AntwortenLöschenHeute braucht es aber zusätzlich noch internationale Solidarität und gemeinsame Forderungen EU-weit und global, Entschlossenheit, um den parasitären Prozess der Finanzmärkte an unseren Gesellschaften zu stoppen! Mit herzlichen Grüssen Maria Moritz, obds-Österreich