Montag, 23. Dezember 2019


Liebe Freunde_innen und Kollegen_innen,

wieder neigt sich ein Jahr, aktuell auch ein Jahrzehnt, dem Ende zu. So wie wir ins neue Jahrzehnt der 20er schauen, so heißt es auch zurück zu schauen in das Jahrzehnt der 10er.
Mich persönlich hatte in dem 10er u.a. das folgende Zitat von Franz Kafka (österr. Romanautor tschech. Herkunft, 1883-1924) begleitet: „Wege entstehen dadurch, dass man sie geht.“

Um jedoch eigene Wege gehen zu können, heißt es das Wesentliche vom Unwesentlichen zu trennen. Woran erkenne ich das Wesentliche für mich? Ich ziehe hier gerne das Zitat von Reinhold Niebuhr (1892-1971) heran:
.. gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann,
den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann,
und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.

Blicke ich zurück auf das vergangene Jahrzehnt, so gab es einige Entwicklungen, die sich jedoch teils auch widersprüchlich gestalteten und die für mich Kernentwicklungen des Jahrzehntes sind.


So zeigten die 10er Jahre einerseits eine hohe Bereitschaft an Solidarität, so als es darum ging Menschen mit Fluchterfahrungen aufzunehmen. Gleichzeitig zeigten die 10er eine starke Individualisierung (ich lernte das Wort „Ichlinge“ kennen) sowie eine Orientierung in Teilen der Gesellschaft an einfachen Botschaften. Eine Epoche des Populismus entwickelte sich, deren Ende noch nicht abzusehen ist.

Was den beruflichen Alltag der Sozialen Arbeit betrifft, hat der berufsqualifizierende Abschluss des Bachelor (BA) das Diplom abgelöst. Nach ihrer Einführung konnte in den 10er Jahren das System weiter aus- und aufgebaut werden. Zu dieser Zäsur gehörte dazu, dass die bundesweite Rahmenstudienordnung zu Gunsten eines Akkreditierungswesen aufgegeben wurde, um die vermeintlichen Ansprüche des Deutschen Qualifikationsrahmens erfüllen zu können. Da mit diesem Wechsel in der Ausbildungslandschaft gleichzeitig das ehemalige Berufsanerkennungsjahr in vielen Bundesländern weggefallen ist, bedeutet heute berufsqualifizierend nicht gleichzeitig zwingend fit für die Praxis zu sein. Erkennbar ist jedoch, dass in den10er, der auf einen Beruf hin und am Lernort Praxis ausgewiesene Kompetenzerwerb, zu Gunsten einer Verwissenschaftlichung im Studium reduziert wurde bzw. weggefallen ist. Die Praxis reagiert darauf und führt u.a. spezielle duale sowie Dienstherrenstudiengänge ein, in denen die Praxis und der Lernort Praxis wieder gestärkt werden sollen. Hielten die traditionellen Hochschulen zunächst noch zu diesen Studienformen Abstand, so sind sie mittlerweile oftmals Teil des neuen Systems.

Nicht vergessen werden darf in den 10er die Entwicklung der Digitalisierung und Robotik. Wir erlebten und erleben auch hier eine Zäsur des Miteinanders in der Gesellschaft und somit auch in der Sozialen Arbeit. Soziale Arbeit 4.0 fand ihren Ursprung. Ob im Büro, dem täglichen Miteinander, der Medizin, dem Sozialen .... unsere Kommunikationsformen werden immer stärker von Digitalisierung bestimmt bzw. gesteuert.

Eine in den 10er Jahren wichtige Thematik für die Menschen war die Rückbesinnung auf Fragen zu Ökologie, Umwelt- und Naturschutz. Der „Internationale Verband der Sozialen Arbeit“ (IFSW) hatte diese Notwenigkeit bereits in seiner Agenda in den 10er aufgegriffen und vielfältige Aktionen und Veranstaltungen weltweit angeboten. Die wesentliche und grundsätzliche Erkenntnis ist, dass die Menschheit selbst als Verursacher erkannt wird und daher die Verantwortung tragen muss. Diese Erkenntnis lieferte große Räume in den Debatten. Dass verschieden lokale Gebiete in der Welt sich aufgrund des sich verändernden Klimas dahin entwickeln, dass Leben dort auf unterschiedliche Art und Weise nicht mehr möglich ist, ist eines der aktuellen Phänomene. Das dadurch u.a. Wanderungsbewegungen entstehen ist eine logische Folge. Wenn Ökologie diskutiert wird, muss auch diese Erkenntnis immer berücksichtigt werden. Anstatt Populismus von allen beteiligten Seiten und gesellschaftlichen Gruppen zu betreiben, sollte vielmehr der Mensch wieder in den Fokus gestellt werden und damit die Frage der menschlichen Existenz in den betroffenen Gebieten sowie mögliche Alternativen.

Wenn gleichzeitig in den Gesellschaften z.B. trotz intensiver Debatte der Flugverkehr jährlich steigt, ist die eigentliche, die soziale, die Botschaft nach Solidarität für die betroffenen Menschen, nicht angekommen. Ob die verändernden Naturgewalten dann weltweit für eine Veränderung sorgen werden, bleibt ungewiss.
Auch muss grundsätzlich die Genfer Flüchtlingskonvention wieder verstärkt ins Bewusstsein rücken. Diese Konvention, die auf intensiven Erfahrungen aufbaut, sollte von allen Menschen auch geachtet werden. In den 10er Jahren konnte der Eindruck entstehen, dass dies nicht mehr von allen gesellschaftlichen Gruppen (lokal, in Europa oder International) mitgetragen wird.

Und der Blick nach vorne...

Der Blick in die 20er lässt scheinbar eine weitere unterschiedliche Zersplitterung der Gesellschaft erahnen. In der Sozialen Arbeit erscheint es so, dass sich vermutliche Eliten immer weiter ausbilden und es verstärkt gesellschaftliche Gruppen geben wird, die sich z.B. in den aktuell entstehenden abgesenkten Assistenzberufen wiederfinden werden. Der vermeintliche Fachkräftemangel, der hierfür in die Begründung einfließt, sollte eher durch bessere Anreize und Entlohnung, anstelle weiterer Spreizungen und Zersplitterungen von Berufen erfolgen. Welche Schnittmenge diese verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen zukünftig noch miteinander teilen werden, wird in den 20er abzuwarten sein.

Auch wird abzuwarten sein, welche Wirkungen sich durch das verändernde Klima ergeben werden. Die Chance der Ökologie, des Natur- und Umweltschutzes in den 20er, liegt vor allem im Verzicht des Populismus auf allen Seiten, der notwendigen Hinwendung zur Menschlichkeit sowie die durch Veränderungen bedingten Prozesse zur Erhaltung menschlicher Lebensverhältnisse. Hier anzusetzen und von hier aus zu argumentieren wäre auch eine Aufgabe der Sozialen Arbeit. Fragen nach Menschlichkeit, menschlichem Miteinander, menschlichen Lebensverhältnissen, sollten nicht den Gruppen überlassen werden, die mit einfachen Botschaften komplexe Vorgänge vermeintlich erklären wollen, jedoch in Wirklichkeit ihren Populismus aufwenden um Macht zu erstreben. Die wichtigste Aufgabe der 20er wird es daher sein, Gesellschaften so zu organisieren und entwickeln, damit Populisten keine Chance haben.

Neben allen diesen ausgewählten und unterschiedlichen Prozessen die auf uns alle einwirken, sollten wir nie vergessen, dass unsere Wurzel, die Kraft und Energie, meist in den Familien und den Freundeskreisen liegen. Die Stärkung dieser persönlichen Ressourcen wird ein wesentlicher Faktor dafür sein, ob wir (als Gesellschaft und jeder für sich) in den 20er wieder ein mehr an Menschlichkeit oder weiter verstärkt in eine Technokratie abwandern werden, mit allen ihr zugehörigen Konsequenzen.

Bleibt mir nur noch allen ein gutes Ankommen in den 20er zu wünschen, verbunden mit den Wünschen nach Gesundheit und Zufriedenheit.

Allen ein gutes neues Jahr 2020.

Michael Leinenbach


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen