Liebe
Freunde_innen und Kollegen_innen,
wieder neigt sich
ein Jahr, aktuell auch ein Jahrzehnt, dem Ende zu. So wie wir ins neue
Jahrzehnt der 20er schauen, so heißt es auch zurück zu schauen in das Jahrzehnt
der 10er.
Mich persönlich
hatte in dem 10er u.a. das folgende Zitat von Franz Kafka (österr. Romanautor
tschech. Herkunft, 1883-1924) begleitet: „Wege entstehen dadurch, dass man
sie geht.“
Um jedoch eigene
Wege gehen zu können, heißt es das Wesentliche vom Unwesentlichen zu trennen.
Woran erkenne ich das Wesentliche für mich? Ich ziehe hier gerne das Zitat von
Reinhold Niebuhr (1892-1971) heran:
.. gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht
ändern kann,
den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann,
und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.
Blicke ich zurück
auf das vergangene Jahrzehnt, so gab es einige Entwicklungen, die sich jedoch
teils auch widersprüchlich gestalteten und die für mich Kernentwicklungen des Jahrzehntes
sind.
So zeigten die
10er Jahre einerseits eine hohe Bereitschaft an Solidarität, so als es darum
ging Menschen mit Fluchterfahrungen aufzunehmen. Gleichzeitig zeigten die 10er
eine starke Individualisierung (ich lernte das Wort „Ichlinge“ kennen) sowie
eine Orientierung in Teilen der Gesellschaft an einfachen Botschaften. Eine
Epoche des Populismus entwickelte sich, deren Ende noch nicht abzusehen ist.
Was den
beruflichen Alltag der Sozialen Arbeit betrifft, hat der berufsqualifizierende
Abschluss des Bachelor (BA) das Diplom abgelöst. Nach ihrer Einführung konnte
in den 10er Jahren das System weiter aus- und aufgebaut werden. Zu dieser Zäsur
gehörte dazu, dass die bundesweite Rahmenstudienordnung zu Gunsten eines
Akkreditierungswesen aufgegeben wurde, um die vermeintlichen Ansprüche des
Deutschen Qualifikationsrahmens erfüllen zu können. Da mit diesem Wechsel in
der Ausbildungslandschaft gleichzeitig das ehemalige Berufsanerkennungsjahr in
vielen Bundesländern weggefallen ist, bedeutet heute berufsqualifizierend nicht
gleichzeitig zwingend fit für die Praxis zu sein. Erkennbar ist jedoch, dass in
den10er, der auf einen Beruf hin und am Lernort Praxis ausgewiesene
Kompetenzerwerb, zu Gunsten einer Verwissenschaftlichung im Studium reduziert
wurde bzw. weggefallen ist. Die Praxis reagiert darauf und führt u.a. spezielle
duale sowie Dienstherrenstudiengänge ein, in denen die Praxis und der Lernort
Praxis wieder gestärkt werden sollen. Hielten die traditionellen Hochschulen
zunächst noch zu diesen Studienformen Abstand, so sind sie mittlerweile oftmals
Teil des neuen Systems.
Nicht vergessen
werden darf in den 10er die Entwicklung der Digitalisierung und Robotik. Wir
erlebten und erleben auch hier eine Zäsur des Miteinanders in der Gesellschaft
und somit auch in der Sozialen Arbeit. Soziale Arbeit 4.0 fand ihren Ursprung.
Ob im Büro, dem täglichen Miteinander, der Medizin, dem Sozialen .... unsere
Kommunikationsformen werden immer stärker von Digitalisierung bestimmt bzw.
gesteuert.
Eine in den 10er
Jahren wichtige Thematik für die Menschen war die Rückbesinnung auf Fragen zu
Ökologie, Umwelt- und Naturschutz. Der „Internationale Verband der Sozialen
Arbeit“ (IFSW) hatte diese Notwenigkeit bereits in seiner Agenda in den 10er
aufgegriffen und vielfältige Aktionen und Veranstaltungen weltweit angeboten.
Die wesentliche und grundsätzliche Erkenntnis ist, dass die Menschheit selbst
als Verursacher erkannt wird und daher die Verantwortung tragen muss. Diese
Erkenntnis lieferte große Räume in den Debatten. Dass verschieden lokale
Gebiete in der Welt sich aufgrund des sich verändernden Klimas dahin
entwickeln, dass Leben dort auf unterschiedliche Art und Weise nicht mehr
möglich ist, ist eines der aktuellen Phänomene. Das dadurch u.a. Wanderungsbewegungen
entstehen ist eine logische Folge. Wenn Ökologie diskutiert wird, muss auch
diese Erkenntnis immer berücksichtigt werden. Anstatt Populismus von allen
beteiligten Seiten und gesellschaftlichen Gruppen zu betreiben, sollte vielmehr
der Mensch wieder in den Fokus gestellt werden und damit die Frage der
menschlichen Existenz in den betroffenen Gebieten sowie mögliche Alternativen.
Wenn gleichzeitig
in den Gesellschaften z.B. trotz intensiver Debatte der Flugverkehr jährlich
steigt, ist die eigentliche, die soziale, die Botschaft nach Solidarität für
die betroffenen Menschen, nicht angekommen. Ob die verändernden Naturgewalten
dann weltweit für eine Veränderung sorgen werden, bleibt ungewiss.
Auch muss
grundsätzlich die Genfer Flüchtlingskonvention wieder verstärkt ins Bewusstsein
rücken. Diese Konvention, die auf intensiven Erfahrungen aufbaut, sollte von
allen Menschen auch geachtet werden. In den 10er Jahren konnte der Eindruck
entstehen, dass dies nicht mehr von allen gesellschaftlichen Gruppen (lokal, in
Europa oder International) mitgetragen wird.
Und der Blick
nach vorne...
Der Blick in die
20er lässt scheinbar eine weitere unterschiedliche Zersplitterung der
Gesellschaft erahnen. In der Sozialen Arbeit erscheint es so, dass sich
vermutliche Eliten immer weiter ausbilden und es verstärkt gesellschaftliche
Gruppen geben wird, die sich z.B. in den aktuell entstehenden abgesenkten
Assistenzberufen wiederfinden werden. Der vermeintliche Fachkräftemangel, der
hierfür in die Begründung einfließt, sollte eher durch bessere Anreize und
Entlohnung, anstelle weiterer Spreizungen und Zersplitterungen von Berufen
erfolgen. Welche Schnittmenge diese verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen
zukünftig noch miteinander teilen werden, wird in den 20er abzuwarten sein.
Auch wird
abzuwarten sein, welche Wirkungen sich durch das verändernde Klima ergeben
werden. Die Chance der Ökologie, des Natur- und Umweltschutzes in den 20er,
liegt vor allem im Verzicht des Populismus auf allen Seiten, der notwendigen
Hinwendung zur Menschlichkeit sowie die durch Veränderungen bedingten Prozesse
zur Erhaltung menschlicher Lebensverhältnisse. Hier anzusetzen und von hier aus
zu argumentieren wäre auch eine Aufgabe der Sozialen Arbeit. Fragen nach
Menschlichkeit, menschlichem Miteinander, menschlichen Lebensverhältnissen,
sollten nicht den Gruppen überlassen werden, die mit einfachen Botschaften
komplexe Vorgänge vermeintlich erklären wollen, jedoch in Wirklichkeit ihren
Populismus aufwenden um Macht zu erstreben. Die wichtigste Aufgabe der 20er
wird es daher sein, Gesellschaften so zu organisieren und entwickeln, damit
Populisten keine Chance haben.
Neben allen
diesen ausgewählten und unterschiedlichen Prozessen die auf uns alle einwirken,
sollten wir nie vergessen, dass unsere Wurzel, die Kraft und Energie, meist in
den Familien und den Freundeskreisen liegen. Die Stärkung dieser persönlichen
Ressourcen wird ein wesentlicher Faktor dafür sein, ob wir (als Gesellschaft
und jeder für sich) in den 20er wieder ein mehr an Menschlichkeit oder weiter
verstärkt in eine Technokratie abwandern werden, mit allen ihr zugehörigen
Konsequenzen.
Bleibt mir nur
noch allen ein gutes Ankommen in den 20er zu wünschen, verbunden mit den
Wünschen nach Gesundheit und Zufriedenheit.
Allen ein gutes
neues Jahr 2020.
Michael
Leinenbach
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