Donnerstag, 27. Juni 2019

Allen Generationen ihren Platz in Organisationen geben


Interview im t@cker (Bundesjugendleitung, dbb beamtenbund und tarifunion)
aus der Ausgabe 12/2015


Notwendigkeit und Möglichkeit, sich einzubringen

Ich möchte hier etwas früher ansetzen und den Hintergrund beleuchten, warum mir das Thema so wichtig ist. Ich selbst komme ursprünglich aus der Jugendverbandsarbeit. Als ich im DBSH meine ersten Funktionen übernahm, stieß ich auf allen Ebenen auf fest­gefahrene und tradierte Strukturen, zu deren Aufrechterhaltung ein unfassbares Regel­werk errichtet wurde, das jegliche Spontaneität von Beginn an verhinderte. Damals war mir als „junger“ Kollege das Ganze sehr suspekt, und mir fehlten die bekannten Formen der Jugendverbandsarbeit mit der Möglichkeit sich einzubringen. Fragen Sie mich nicht, wie oft ich das Ganze am liebsten hingeworfen hätte. Das berühmte Zitat der Verwal­tung „das haben wir aber immer schon so gemacht“, war noch die harmloseste Form, die ich erlebt habe. Erst nach der Übernahme des Bundesvorsitzes konnte ich die Wei­chen stellen, sodass sich eine eigene Nachwuchsorganisation in den Reihen des DBSH aufbauen konnte. Nach und nach reifte in Teilen der Organisation die Erkenntnis der Notwendigkeit der Nachwuchsorganisation. Mittlerweile haben bereits Kollegeninnen und Kollegen wichtige Funktionen im Verband übernommen und sind gleichzeitig noch in ihre Netzwerke der Jugendorganisation eingebunden.
 


Bedenken? Bedenkenträger?

Klar. Kennen Sie das Wort „Jugendwahn“? Wenn nicht, ich bin aus Sicht einiger älteren Kollegeninnen und Kollegen ein Wesen mit solchen Zügen. Aber schauen wir doch mal genau hin. Bereits Sokrates sagte über die Jugend: „Die Jugend liebt heutzutage den Lu­xus. Sie hat schlechte Manieren, verachtet die Autorität, hat keinen Respekt vor den äl­teren Leuten und schwatzt, wo sie arbeiten sollte…“ (449 – 399 v. Christus). Kann es uns da wundern, dass auch heute noch die Bedenkenträger ihren Platz in den Organisatio­nen haben? Vielleicht müssen wir einfach zur Kenntnis nehmen, dass jede Generation ihre Werte, ihr Vorstellungen, ihre Kommunikationswege oder einfach gesagt ihre eige­ne Kultur entwickelt. Und sind wir mal ehrlich – die Fragestellung hat auch etwas mit Macht zu tun. Wer gibt denn schon gerne Macht ab? Uns allen muss klar sein muss, dass bei der Ausübung von Macht immer auch eine gewisse Art der Ohnmacht vorhanden ist. Fühlt Macht sich bedroht oder fühlt sich gar die eigene Kultur bedroht – aus welchen Gründen auch immer – gibt es immer die Opposition, deren größtes Ansinnen es ist, das sich nur nichts verändert. Man muss nur auf die aktuelle Situation der Menschen auf dem Weg in eine sichere Zukunft schauen und wie Deutschland und Europa damit um­geht. Das erklärt dann auch, warum es Bedenkenträger bzgl. der Jugendarbeit in Ver­bänden gibt. Die Ursache ist die Gleiche: Angst vor Neuem, vor Verlust der Identität, der Macht und der eigenen Kultur.

Jede Organisation braucht Impulse

Jede Organisation benötigt, um sich weiter zu entwickeln, neue Impulse. Gleichsam ist es die Aufgabe der Organisationen, im Rahmen der Bildungsarbeit die eigene Kultur und Identität an die nächste Generation weiter zu geben. Ich sehe in der eigenständi­gen Jugendarbeit viele Vorteile für die unterschiedlichen Adressaten. Die Jugend findet in der eigenständigen Jugendarbeit einen Raum, sich in politischem Handeln zu üben, sich weiter zu entwickeln und auch Grenzerfahrungen zu sammeln, die notwendig sind, um die Weiterentwicklung voran zu treiben. Die Organisationen haben den Vorteil, dass sie einerseits ihre Kultur leben und andererseits aus der Jugend diverse Impulse auf­nehmen können. Dadurch kann sich die Organisation weiterentwickeln und bleibt nicht stehen. Ich glaube, das Wichtigste, was wir alle verstehen und auch lernen müssen, ist die Tatsache, dass menschliches Leben und alles, was damit zu tun hat, immer Entwick­lungsphasen unterliegt. Das bedeutet nun nicht, dass wesentliche Errungenschaften der menschlichen Kultur wie Menschenrechte usw. sich ständig ändern müssen. Aber wenn wir einen Rückblick auf die letzten Jahrzehnte, gar Jahrhunderte in Europa tätigen, se­hen wir, dass sich vieles entwickelt hat. Diese Entwicklungen müssen als normale Pro­zesse des Lebens begriffen werden.

 
Mut zur Lücke und Mut zu neuen Herausforderungen!

Ich kann nur raten: „Mut zur Lücke und Mut zu neuen Herausforderungen!“ Ich möchte den Kollegeninnen und Kollegen auch aus der Erfahrung den Tipp mit auf den Weg ge­ben, dass solche Prozesse oftmals am besten aus der mittleren Generation heraus ange­stoßen werden sollten. Diese Generation hat die „Entwicklungsphase der Jugend“ meist gerade erst hinter sich und kann noch sehr empathisch mit der nachwachsenden Ge­neration mitfühlen. Die ältere Generation hat meist, ob bewusst oder unbewusst, den Auftrag der „Wahrung des Erbes“ übernommen und wird natürlich auf alle Fälle versu­chen, dieses vor Veränderung zu schützen. Da ich selbst langsam auf dem Weg zum „Al­ter“ bin, gestattete ich mir auch diese offene Kommentierung, denn sie betrifft mich selbst. Wenn wir als Organisationen weiter bestehen wollen, schaffen wir das nur auf dem Weg der Kommunikation und Moderation der unterschiedlichen Generationen. Wir müssen allen Generationen ihren Platz in den Organisationen geben und die Über­gänge vorbereiten und moderieren. Ich ende mit einem Zitat von Straif und Schirmann (psychologische Begriffsbestimmungen 2006), die Entwicklung definieren als „einen Prozess der Entstehung, der Veränderung und des Vergehens“.
 
 

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