Interviewauszüge aus der Vorbereitung der Bachelor Arbeit (BA) 2017 von Felix Rittershaus
Thema der BA: „Bedingungsloses Grundeinkommen und Soziale Arbeit. Ein BGE als Subventionsgrundlage für die Soziale Arbeit?“
Eingereicht im September 2017 bei Michael Domes zu dieser Zeit Dozenten an der SRH Heidelberg – mittlerweile Professur an der TH Nürnberg ist.
Felix Rittershaus im Interview mit Michael Leinenbach
Interviewauswertung zum ‚aktivierenden Sozialstaat‘
Herr Leinenbach sieht die aktuelle deutsche Sozialpolitik in jedem Fall sehr kritisch. Im Gespräch stellt er fest, dass er vor allem die in der Sozialpolitik strukturell vorgegebene Defizitorientierung, sowohl in den Gesetzen, als auch in darauf aufbauenden Unterstützungsangeboten als großen Makel sehe. Demgegenüber stellt er die Inklusion, die durch die Behindertenrechtskonvention Einzug in die deutsche Gesetzgebung erhalten hat. Diese stehe der Defizitorientierung als Gegensatz gegenüber und obwohl beide im Prinzip oberste Gesetzgebung seien unterscheiden sie sich stark sowohl in ihrer Herangehensweise, als auch in ihrer gesamten Bedeutung.
Diese Defizitorientierung sehe er vor allem in den Strukturen des aktivierenden Sozialstaates und im SGB II verortetet. Gerade in dessen Grundprinzip des Forderns und Förderns sei dies, durch die Schwerpunktsetzung auf dem Fordern ersichtlich. In Bezug auf die Forderungen an die Hilfesuchenden vertritt er außerdem die Meinung, dass jede Kürzung, die unter die staatliche definierte Grundsicherung gehe, eine Einschränkung der Grundrechte und zudem eine Form von struktureller Gewalt darstelle. Eine Menschenrechtsverletzung sehe er darin allerdings nur in Ausnahmefällen. Er erklärt, dass es im deutschen Sozialsystem darum gehe den Menschen anzupassen und in das System zu integrieren und nicht darum die Menschen dort abzuholen wo sie stehen und das System so zu gestalten, dass der Einzelne seinen Platz darin finden könne. Auf die Frage ob darin eine ‚Hilfe zur Selbsthilfe‘ sehe, wie sie ja ebenfalls im Sozialgesetzbuch vorgeschrieben ist, oder gar Aspekte des Empowerment antwortet er, dass gerade Empowerment nicht von der staatlichen Sozialarbeit geleistet werde bzw. geleistet werden könne, da dort der zum empowern notwendige Aspekt der Freiwilligkeit fehle.
Schließlich merkt er noch an, dass die Möglichkeit bestehe, dass man sich, obwohl man ausgebildeter Sozialarbeiter sei, in seinen praktischen Handlungsfeldern im Staatsdienst außerhalb der berufsethischen Vorgaben und somit auch außerhalb der Profession bewege. Dies geschehe beispielsweise dann, wenn man ebenjene Sanktionen ausspreche, durch die Hilfeleistungen unter die Grundsicherung fallen. Dessen müsse sich dabei jeder Einzelne bewusst sein und sich stets fragen ob er/sie sein/ihr professionelles Handeln noch berufsethisch legitimieren könne.
Interviewauswertung zum ‚Tripelmandat der Sozialen Arbeit‘
Zum Verhältnis von Sozialarbeit und Sozialpolitik sagt Herr Leinenbach, dass diese höchstens als Schwestern gelten könnten. Doch auch hier unterscheidet er wieder zwischen der Sozialarbeit im Allgemeinen und der staatlichen Sozialarbeit. Erstere beschreibt er als neutral, wenn sie allerdings in staatlichen Einrichtungen eingesetzt wird hätte sie dagegen vor allem einen staatlichen Auftrag und wäre somit von der Sozialpolitik abhängig. Er erklärt, dass staatliche Sozialarbeit nur einen begrenzten Spielraum für Entscheidungen von der Politik vorgegeben habe. Umgekehrt habe diese, aufgrund dieses engen Handlungsrahmens, nur wenig Mitspracherecht in der Sozialpolitik. Deshalb müsste auf diese in anderer Weise, beispielsweise durch unabhängige Berufs- und Fachverbände, Einfluss genommen werden. Dennoch stünden Sozialarbeitenden, gemäß Herr Leinenbach, viele Wege offen das professionsethische Mandat umzusetzen. Zum einen auf der individuellen Ebene, indem man versuche die berufsethischen Vorgaben auch innerhalb seines begrenzten Spielraums in der staatlichen Sozialarbeit umzusetzen und darüber hinaus durch (berufs-)politisches Engagement in den jeweiligen Verbänden.
Interviewauswertung zu den ‚Unklarheiten, Chancen und Gefahren eines BGE‘
Die Idee eines Bedingungslosen Grundeinkommens hält Herr Leinenbach nicht per se für schlecht, allerdings komme es dabei sehr auf die Ausgestaltung desselbigen an. Er betont, dass er sich bei den vielen derzeitigen Modellen schwertue, eine klare Aussage oder Meinung über das Bedingungslose Grundeinkommen zu vertreten. Dabei stelle sich ihm zunächst die Frage, was ein solches Grundeinkommen leisten können sollte und wie hoch es folglich sein müsse. Das Grundeinkommen solle zum Leben ausreichend sein und überdies die soziokulturelle Teilhabe sichern. Doch auch diese Aussage und Formulierung zeige noch nicht auf, wie hoch ein Grundeinkommen letztendlich sein müsste, da es darauf ankomme, wie man diese Teilhabe definiere und errechne. Dazu bemerkt er noch, dass seiner Meinung nach noch kein Fortschritt erzielt wäre, wenn es sich beim Grundeinkommen lediglich um einen ähnlichen Betrag wie bei der derzeitigen Grundsicherung handele. Die Grundsicherung stelle auch ein soziokulturelles Existenzminimum dar, sei aber zu wenig. Außerdem hege er noch weitere Zweifel bezüglich der Ausgestaltung und nicht zuletzt bezüglich der Finanzierung eines Grundeinkommens. So stellt er die Frage, ob dieses Grundeinkommen auch besteuert werden würde und ab welchem Einkommen es wieder vollständig „wegbesteuert“ werden würde. Außerdem sieht er in einigen Modellen die Gefahr, dass es sich dabei vielmehr um eine Entlastung der Arbeitgeber und dadurch auch der Wirtschaft handele als um einen sozialethisch begründeten Wandel, um Privatpersonen zu unterstützen. Dies begründet er dadurch, dass in einigen Modellen der Arbeitgeberanteil an den Sozialversicherungen wegfiele. All diese Punkte variieren von Modell zu Modell, weshalb Herr Leinenbach nicht bereit ist ein abschließendes Urteil über die Gesamtthematik zu fällen.
Interviewauswertung zur ‚Sozialen Arbeit im Kontext eines BGE‘
Auf die Frage, wie sich ein Bedingungsloses Grundeinkommen auf die Handlungspraxis der Sozialen Arbeit auswirken würde, betont Herr Leinenbach, dass in der staatlichen Sozialarbeit der derzeitig hohe Kontrollauftrag wegfallen würde. Dabei meint er explizit nicht den Kontrollauftrag, den Sozialarbeit beispielsweise im Kinderschutz hat, sondern bezieht sich auf die Kontrolle der Eigenbemühungen und der Bedarfsermittlungen, die Sozialarbeiter im derzeitigen System leisten müssen. Es ginge also um jene Aspekte der staatlichen Sozialarbeit, die stark in die Privatsphäre der Klienten eingreifen, die er selbst auch sehr kritisch betrachtet und die bisweilen auch als Grundrechtseinschränkungen oder strukturelle Gewalt gesehen werden können. Mit einem Bedingungslosen Grundeinkommen würde sich der Auftrag an die Sozialarbeit im Staatsdienst stattdessen wieder mehr auf die Aspekte Unterstützung und Hilfe zu Beteiligung und Teilhabe verschieben. Darin sehe Herr Leinenbach einen Auftrag, der sehr viel näher am Ansatz der Inklusion sei und deshalb auch näher an seinem Verständnis über den Bereich „Sozialarbeit“. Folglich sieht er in der Idee eines Bedingungslosen Grundeinkommens durchaus eine Beförderung der sozialarbeiterischen Handlungspraxis in eine professionellere Richtung, auch wenn er einer Vielzahl der Grundeinkommensmodelle skeptisch gegenübersteht.
Fazit
Herr Leinenbach betont im Gespräch, dass vor allem die strukturelle Defizitorientierung, wie sie schon im Kontext des Menschenbildes hinter dem Aktivierungsparadigma hervorgehoben wurde, einer der größten Makel in der Sozialpolitik sei. Durch diese Herangehensweise könne nicht mehr auf den Menschen als Individuum eingegangen werden, was im starken Kontrast zum Ansatz der Inklusion stehe. Aus diesem Grund erkennt er in der Sozialpolitik auch durchaus Formen von Grundrechtseinschränkungen und struktureller Gewalt.
Herr Leinenbach erläutert, dass gerade im eng gesteckten Rahmen der staatlichen Sozialarbeit kein Empowerment möglich sei, wenngleich dies wegen der einschränkenden Strukturen gerade dort von Nöten sei, da man die dort geleistete Arbeit teilweise nicht mehr berufsethisch legitimieren könne.
Herr Leinenbach spricht sich dafür aus, dass sich Sozialarbeiter wieder mehr ihres Berufkodexes und des dritten Mandates bewusst werden sollten, da gerade der Anspruch seine Arbeit auch ethisch legitimieren zu können professionelle Sozialarbeit ausmache. Gleichzeitig spricht er sich dafür aus, dass die Sozialarbeit sich mehr organisieren und engagieren solle, um der sozialpolitischen Instrumentalisierung zu entkommen. Die Umsetzung des professionellen Mandates könnte dabei auf allen Ebenen erfolgen und läge in der Verantwortung jedes einzelnen Sozialarbeiters. Er hält die Repolitisierung der Sozialen Arbeit, gerade unter den derzeitigen Umständen, für dringend erforderlich.
Herr Leinenbach merkt jedoch an, dass ein Grundeinkommen nur dann Sinn mache, wenn dies in existenzsichernder Höhe ausgezahlt werde.
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